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(Keine) Perspektiven für vertriebene Ukrainer:innen

Ukrainer:innen, die über ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht nach der Vertriebenen-Verordnung (VertriebenenVO) verfügen, können keinen Aufenthaltstitel nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) erhalten. Diese Praxis ist rechtlich nicht nachvollziehbar und bringt für Betroffene, potentielle Arbeitgeber und nicht zuletzt für Österreich große Nachteile.

Die Problemstellung

In Österreich leben viele gut qualifizierte Ukrainer:innen, die derzeit ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht haben, weil sie die Ukraine aufgrund des Krieges verlassen mussten. Sie haben ein Aufenthaltsrecht und sie können nach Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung auch arbeiten.

Viele wollen eine Perspektive über ihren weiteren Aufenthalt in Österreich. Die VertriebenenVO bietet diese Perspektive nicht. Unter welchen Umständen Ukrainer:innen in Zukunft auf einen anderen Aufenthaltstitel umsteigen werden können, ist derzeit nicht geklärt.

Es liegt daher nahe, das jene Ukrainer:innen, die bereits im Arbeitsmarkt integriert sind oder über entsprechende Qualifikationen verfügen, schon jetzt einen regulären Aufenthaltstitel nach dem NAG beantragen wollen.

Anträge nach dem NAG werden abgelehnt

Der Umstieg will aber nicht funktionieren. Der Grund liegt in § 1 Abs 2 des NAG. Darin wird verkürzt gesagt geregelt, dass das NAG als Ganzes für Personen nicht gilt, die über ein Aufenthaltsrecht nach dem AsylG verfügen. Und nach der Auffassung des österr. Innenministeriums ist das Aufenthaltsrecht der vertriebenen Ukrainer:innen ein solches Aufenthaltsrecht nach dem AsylG.

Der Gesetzgeber wollte mit dieser Regelung aber nie Vertriebene ausschließen, sondern vor allem Personen, die entweder Anträge auf internationalen Schutz gestellt haben, das heißt Asylwerber mit einem entsprechenden vorübergehenden Aufenthaltsrecht, oder schon den Status als Asyl- oder subsidiär Schutzberechtigte haben.

Vertriebene nach der Vertriebenen-Verordnung zählen aber nicht zu dieser Gruppe.

Das wird nicht zuletzt dadurch deutlich, dass die Verordnungsermächtigung für den Erlass einer Vertriebenen-Verordnung bis 2012 im NAG geregelt war (§ 76 NAG in der Fassung BGBl. I Nr. 50/2012). Hätte Russland schon 2012 die Ukraine überfallen, hätten die vertriebenen Ukrainer:innen problemlos auf einen Aufenthaltstitel nach dem NAG umsteigen können.

Das Aufenthaltsrecht selbst wird darüber hinaus durch die – von der Bundesregierung erlassen – Verordnung eingeräumt und stützt nicht unmittelbar auf das Asylgesetz. Das wird u. a. durch den Wortlaut des § 62 Abs 1 bzw. Abs 4 deutlich, aus deren Formulierung abzuleiten ist, dass das Aufenthaltsrecht durch die zu erlassende Verordnung eingeräumt wird:

„(1) (…) Bis zum Inkrafttreten dieser Verordnung ist der Aufenthalt von Vertriebenen im Bundesgebiet geduldet.“ bzw. „(4) Die Behörde hat das durch die Verordnung eingeräumte Aufenthaltsrecht durch Ausstellung eines Ausweises für Vertriebene von Amts wegen zu bestätigen.“

Aus meiner Sicht steht das Aufenthaltsrecht als Vertriebene:r einem Aufenthaltsrecht nach dem NAG nicht im Wege.

Gleichheitsrechtliche Bedenken

Der generelle Ausschluss von Ukrainier:innen vom NAG, die formell die Voraussetzungen der VertriebenenVO erfüllen, ist auch aus gleichheitsrechtlichen Erwägungen bedenklich. Die VertriebenenVO umfasst nämlich ausnahmslos alle Ukrainier:innen, die die Ukraine aufgrund des Krieges nach dem 24.02.2022 verlassen haben.

Es ist daher unerheblich, ob jemand einen Ausweis für Vertriebene beantragt hat oder nicht. Ein Aufenthaltstitel nach dem NAG ist nicht möglich.

Schaffung einer langfristigen Perspektive

Realistische Chancen auf einen Aufenthaltstitel hätten gut qualifizierte Schlüsselkräfte und Schüler bzw. Student:innen. Sie könnten Erstanträge auf Erteilung einer Rot-Weiß-Rot Karte oder eine blaue Karte EU beantragen bzw. Aufenthaltsbewilligungen als Schüler oder Student:innen.

Für Menschen, die die Voraussetzungen für diese Aufenthaltstitel nicht erfüllen oder aus anderen Gründen eine solche Arbeit nicht verrichten können, etwa wegen ihrer Obsorgepflichten oder ihres Gesundheitszustandes, ist ein Aufenthaltstitel nach dem NAG keine Alternative.

Die evangelische Diakonie fordert ein explizites Ukrainer:innen-Gesetz, mit dem Ukrainer:innen, die zu einem bestimmten Stichtag in Österreich als Vertriebene gelebt haben, mit Asylberechtigten gleichgestellt werden.

Die Diakonie betont, dass unter den vertriebenen Ukrainer:innen besonders viele vulnerable Personen zu finden sind, etwa alleinerziehende Mütter und ältere Menschen. Ihnen soll durch die Angleichung mit Asylberechtigten ein unbürokratischer Übergang zu einem dauerhaften Aufenthaltsrecht und Zugang zu wesentlichen Leistungen geboten werden.

Aufwendige Einzelfallprüfungen drohen

Welcher Weg auch gewählt wird, es sollte jedenfalls verhindert werden, dass in zwei Jahren zigtausende Ukrainer:innen in die MA35 drängen, um einen Aufenthaltstitel zu beantragen, was die schon heute überforderte Magistratsabteilung erneut vor unlösbare Probleme stellen wird.

Genau das wird passieren, wenn Ukrainer:innen heute ein Umstieg verwehrt oder keine Lösung gefunden wird, die aufwendige Einzelfallprüfungen verhindert. Es bleibt nicht mehr viel Zeit für eine Lösung dieser sehr absehbaren Probleme.

Foto: By Nati via www.pexels.com

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